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SmartAssistEntz – Smartphone-assistierte Abstinenzförderung nach Alkoholentzug

Alkoholabhängigkeit ist eine der häufigsten psychischen Störungen weltweit und durch einen oft chronischen Verlauf gekennzeichnet.

Laut dem Bundesministerium für Gesundheit (2021) konsumieren in Deutschland 6,7 Millionen Menschen im Alter von 18-64 Jahren in gesundheitlich riskanter Art und Weise Alkohol. 1,6 Millionen Menschen gelten als alkoholabhängig. Davon erfolgt jährlich bei 160.000 Patient:innen eine (qualifizierte) Entzugsbehandlung (AWMF, 2020).

Obschon das deutsche Gesundheitssystem eine Vielzahl an weiterführenden Behandlungsangeboten für Betroffene nach Abschluss des stationären Entzugs bereithält, nimmt nur ein vergleichsweise geringer Anteil diese Versorgungsangebote tatsächlich in Anspruch. Der Großteil der Betroffenen erhält in dieser Phase mit hohem Rückfallrisiko keine angemessene Unterstützung, wodurch es vermehrt zu Rückfällen kommt (siehe Abbildung 1). 

Abbildung 1: Versorgungssituation nach einem stationären Alkoholentzug

Der Lösungsansatz durch „SmartAssistEntz“

Zur Lösung dieses Versorgungsproblems forschen mentalis, die Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen sowie die Otto-Friedrich-Universität in Bamberg gemeinsam mit zahlreichen Kliniken und Krankenkassen an einer digitalen Nachsorge von Patient:innen nach einem erfolgten Alkoholentzug. Das Projekt „Smartphone-assistierte Abstinenzförderung nach Alkoholentzug“ (kurz: SmartAssistEntz) wird vom Innovationsausschuss des G-BA für 43 Monate mit 2,4 Mio. € gefördert und die Datenerhebung startete im Dezember 2019. Ziel des Projekts ist die nachhaltige Nutzung von Anschlussmaßnahmen, die Reduzierung von Rückfällen und die Verringerung von individuellem Leid sowie Krankheitskosten. 

Der Ablauf der Studie

An der Studie teilnehmen konnten Erwachsene mit einer diagnostizierten Alkoholabhängigkeit nach einem erfolgreichen Entzug, die Mitglied bei einer kooperierenden Krankenkasse waren. Nicht teilnehmen durften akut suizidale Patient:innen sowie Patient:innen mit einer sprachlichen oder neurokognitiven Barriere. Es erfolgte noch in der Klinik eine qualifizierte Einschreibung der Patient:innen in das digitale Nachsorgeprogramm, sodass bereits auf Station eine nahtlose Weiterbehandlung gewährleistet werden konnte. Die Patient:innen wurden in den sechs auf die Entlassung folgenden Wochen durch die therapeutischen Inhalte der App, sowie das begleitend stattfindende Tele-Coaching unterstützt und zur Identifizierung und Nutzung passender Weiterbehandlungsmöglichkeiten motiviert.

Die Bestandteile der Intervention

Die Smartphone-App in Kombination mit dem Tele-Coaching zielen auf die folgenden drei Komponenten ab, um Rückfälle zu reduzieren und die nachhaltige Nutzung von Anschlussmaßnahmen zu unterstützen: 

  1. Therapie-App
    Die Abstinenz der Patient:innen wird durch die Nutzung der App gefördert. Die therapeutischen Inhalte basieren auf evidenzbasierten Techniken der Kognitiven Verhaltenstherapie, der motivierenden Gesprächsführung sowie neurokognitiven Trainings. Zudem haben die Patient:innen Zugriff auf eine unterstützende Chatfunktion mit einem/r Tele-Coach:in. 
  2. Tele-Coaching
    Das Tele-Coaching dient zur Identifikation individuell passender Anschlussmaßnahmen. Die Erfassung erfolgt im ersten 30-minütigen Kontakt zwischen Patient:in und Tele-Coach:in. Insgesamt finden sechs wöchentliche Kontakte statt. 
  3. Nutzung von Anschlussmaßnahmen
    Die App und der/die Tele-Coach:in assistieren bei der Identifikation und der Nutzung möglicher Anschlussmaßnahmen, wie beispielweise Beratungsstellen oder ambulante Psychotherapeut:innen. Außerdem werden Patient:innen bei der Auswahl und Kontaktaufnahme weiterführender Maßnahmen sowie bei etwaigen Hindernissen unterstützt. So soll eine nachhaltige Nutzung geeigneter Anschlussmaßnahme gesichert werden (siehe Abbildung 2). 

Abbildung 2: Unterstützung durch SmartAssistEntz zur Überführung in eine Anschlussmaßnahme

Ein Einblick

Das neue Versorgungskonzept SmartAssistEntz wurde modellhaft in der Region Bayern implementiert und evaluiert. Die Effekte von SmartAssistEntz, insbesondere das Rückfallrisiko innerhalb von sechs Monaten nach Entzug, werden mit den in der Regelversorgung erzielten Effekten verglichen. Hierzu werden Patient:innen sowie die Behandelnden befragt und Routinedaten der beteiligten Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung herangezogen. Im Erfolgsfall kann SmartAssistEntz die nachhaltige Nutzung von Anschlussmaßnahmen nach Alkoholentzug erhöhen, Rückfälle reduzieren und damit auf lange Sicht gesehen die direkten und indirekten Krankheitskosten reduzieren. Zum aktuellen Stand werden die Daten durch das evaluierende Institut ausgewertet. 

Dr. Christian A. Lukas als Verantwortlicher der Forschungsaktivitäten von mentalis berichtet, dass speziell die Tele-Coaching Funktion als sehr wertvoll und unterstützend von den Patient:innen erlebt wurde. Es ist anzunehmen, dass die Patient:innen durch ihr zu Beginn recht eingeschränktes Aktivitäts- und Funktionsniveau speziell bei der Unterstützung durch den/die Tele-Coach:in eine erhöhte Adhärenz zeigten.

Die Erkenntnisse sprechen für den einzigartigen Ansatz der mentalis, die Nachsorge-Apps stets mit persönlicher Unterstützung durch eine/n Tele-Coach:in zu kombinieren. Dieser Ansatz ist es, der die mentalis Programme besonders wirksam macht und von weiteren therapeutischen App-Angeboten unterscheidet.

 

Dieser Blogartikel wurde verfasst von unserem Redaktionsteam
Renate Übe & Sophia Möhrle

 

Literatur

Bundesministerium für Gesundheit (2021, 12. August). Alkohol. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/a/alkohol.html. 

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (2020). AWMF Leitlinien-Register: S3 Leitlinie Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/076-001.html.